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Amoklauf in Winnenden: Wie weit dürfen (Hobby-)Videofilmer gehen? Brauchen wir einen Moralkodex für Camcorder-Besitzer?

Wahrscheinlich haben die meisten von diesem tragischen Vorfall gehört. Ein 17-jähriger Amokläufer tötet 15 Menschen und am Ende sich selbst.

Heute morgen habe ich wie fast jeden Morgen die Online-Nachrichten auf spiegel.de gelesen – unter anderem auch über über den Amoklauf. Der Top-Artikel linkte zur Videoseite, die unter anderem auch ein Video mit dem Namen „Amoklauf in Winnenden: Eltern in Panik“ in der „Mehr“-Spalte listet.

Der Name an sich ist effekthascherisch, ich wollte wissen, was sich dahinter verbirgt. Gerechnet hatte mit Interviews mit Eltern von Winnender Schülern – Interviews geführt von professionellen Journalisten. Stattdessen entpuppt sich das Video als das eines Hobbyfilmers, der von der Tragödie gehört, sich seinen Camcorder geschnappt hat und auf Materialsuche gegangen ist (hier das Video auf YouTube, denn auf das Originalvideo auf Spiegel Online lässt sich nicht direkt verlinken).

Der „Kameramann“ hetzt den Weg zur Schule entlang und filmt panische Eltern und Kinder. Und nicht nur das, er interviewt Menschen, die sichtbar unter Schock stehen. Dieses Material ist dann auf spiegel.de gelangt.

Natürlich streite ich nicht ab, dass wir alle haben ein gewisses Mass an Sensationslust in uns tragen. Ich selbst habe einge Videos zum Amoklauf auf Spiegel Online angesehen und wahrscheinlich haben viele Menschen Berichte im Fernsehen angeschaut. Doch wie weit darf oder sollte ein Hobbyfilmer gehen, um die öffentlichen Sensationslust zu befriedigen? Ist dieser Voyeurismus überhaupt zu befriedigen? Oder ist das alles nur eine Bestandsaufnahme gegenwärtiger Ereignisse durch Zeitzeugen, die anstatt mit Stift und Papier Geschehnisse auf Video festhalten?

YouTube, Blogs, StudiVZ, Facebook, Twitter. Die Social-Networking Plattformen der heutigen Zeit machen uns zu einem gläsernen Menschen und unser Leben digital omnipräsent. Es bleibt uns freigestellt, ob wir uns auf diesen Plattformen anmelden und beim digitalen Striptease mitmachen wollen, doch entgehen können wir der digitalen Bloßstellung nicht. Nicht nur jeder unserer Bekannten, sondern – wie in diesem Fall geschehen – jeder, der uns auf der Strasse begegnet, kann Anderen Einblicke in unser Leben, schlimmstenfalls in unser Seelenleben geben.  

Es scheint, als würden wir den Respekt vor unseren Mitmenschen verlieren. Manche Menschen sehen anscheinend den Besitz eines Camcorders – oder eines Gerätes, das Videos aufnimmt, wie z.B. auch moderne Handies – als eine Art Berechtigung, das Leben Anderer für eigene Zwecke nutzen zu können. In manchen Fällen mag es nur eine hohe Zuschauerzahl auf YouTube sein, in diesem Fall ist wahrscheinlich sogar Geld geflossen (und wenn nicht, dann macht das die Sache nicht weniger schlimm).

Hat das enorme Wachstum von Videoplattformen im Internet traditionsreiche deutsche Medienanstalten so unter Druck gesetzt, dass auch sie jeglichen Anstand über Bord werfen und „benutzergeneriertes“ Material gerne benutzen, um sich ein jüngeres und moderneres Aussehen zu geben? Es ist schlimm, dass auf YouTube Eingriffe in die Privatsphäre meist stillschweigend geduldet werden, doch dass sogar Spiegel Online nun die Menschenwürde nun ganz von ihrem Codex gestrichen hat, schockiert mich.

Braucht unsere „moderne“ Welt einen Moralkodex für Hobbyfilmer?

Es sind Ausnahmesituationen, die unser wahres Gesicht zeigen. Die Hauptverantwortung für unser Handeln liegt noch immer bei uns selbst und jeder von uns trägt ein gewisses Mass von Verantwortung für unsere Mitmenschen. Vielleicht ist diese im digitalen Zeitalter größer denn je zuvor.

 

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Dieser Artikel gibt die alleinige und persönliche Meinung der Autorin Carmen G wieder. Diese spiegelt jedoch in keinem Maße die Meinung jeglicher mit dem Blog verbundnener Entitäten wieder.